Der Arbeitszeitbetrug durch Arbeitnehmer
Ein paar Minuten hier, ein paar Minuten da. Noch einen Termin zu erledigen, also eher in den Feierabend. Der Chef wird das schon nicht so eng sehen. Doch was, wenn die böse Überraschung in Form der fristlosen Kündigung kommt? 123recht.net im Interview mit Rechtsanwalt Sandro Dittmann zum Thema Arbeitszeitbetrug. Damit Sie als Arbeitnehmer schon im Vorfeld wissen, was auf Sie zukommen kann.
Arbeitszeitbetrug ist eine schwere Pflichtverletzung des Arbeitnehmers
123recht.net: Herr Dittmann, was bezeichnet man als Arbeitszeitbetrug?
Rechtsanwalt Dittmann: Im Arbeitsverhältnis kommen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in direkten Kontakt mit den Rechtsgütern der anderen Seite. Umso wichtiger ist es deshalb, dass man einander vertrauen kann.
Als schwere Pflichtverletzung des Arbeitnehmers wird der so genannte Arbeitszeitbetrug angesehen.
Eine gesetzliche Definition zum Arbeitszeitbetrug selbst gibt es aber nicht.
Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, einen Arbeitszeitbetrug darstellt.
Das heißt aber auch, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Handhabung der Arbeits- und Bereitschaftszeiten ausdrücklich klarzustellen, z.B. wie im Fall des LAG Hessen durch Hinweisschild am Ein- und Ausgang.
Im Einzelfall kann Arbeitszeitbetrug strafrechtlich relevant werden
123recht.net: Betrug implementiert ja eine strafbare Handlung. Handelt es sich dabei wirklich um eine Straftat?
Rechtsanwalt Dittmann: Beim Arbeitszeitbetrug im Kündigungsschutzklageverfahren kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch (BAG 24. November 2005 – 2 AZR 39/05 – aaO; 12. August 1999 – 2 AZR 832/98 – zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53).
Sollte ein Arbeitnehmer falsche Angaben bezüglich der Arbeitszeit machen, drohen aber nicht nur zivilrechtliche Ansprüche des Arbeitgebers, sondern auch strafrechtliche Sanktionen. Grundsätzlich könnte nämlich mit dem Arbeitszeitbetrug auch der Straftatbestand des Betrugs gemäß § 263 StGB erfüllt sein, das kann aber nur im Einzelfall betrachtet werden.
Kennzeichnend für den Straftatbestand des Betruges ist jedenfalls das Vorliegen einer Täuschungserklärung und eines Schadens.
Lässt der Arbeitnehmer seine Stempelkarte von einem Kollegen abstempeln, obgleich er noch nicht im Betrieb erschienen ist oder den Betrieb bereits verlassen hat, täuscht er den Arbeitgeber über die Dauer seiner Anwesenheit im Betrieb, da dem An- und Abstempeln der Erklärungsgehalt zukommt, den Betrieb persönlich zum dokumentierten Zeitpunkt betreten bzw. verlassen zu haben. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer abstempelt, den Betrieb jedoch sogleich wieder verlässt, um sein Fahrzeug auf dem Werksparkplatz abzustellen.
Der Schaden wäre darin zu sehen, dass Arbeitslohn für Zeiten gezahlt würde, obwohl tatsächlich keine Leistung durch den Arbeitnehmer erbracht wurde.
Fristlose Kündigung ist meist berechtigt
123recht.net: Wie man es dreht und wendet – es handelt sich beim Schummeln über die Arbeitszeit nicht um eine Lappalie,
Rechtsanwalt Dittmann: Definitiv handelt es sich bei Arbeitszeitbetrug um keine Lappalie. Denn das auf Vertrauen basierende Arbeitsverhältnis dürfte damit in der Regel dauerhaft zerstört sein. Ein Miteinander-Arbeiten ist nicht mehr möglich. Aufgrund dessen haben die Gerichte hier auch in den meisten Fällen eine fristlose Kündigung bejaht, selbst wenn vorher die ansonsten erforderliche Abmahnung nicht erfolgte.
123recht.net: Was sind die gängigsten Methoden beim Arbeitszeitbetrug?
Rechtsanwalt Dittmann: Wie immer im Arbeitsrecht ist der Fall des einzelnen Arbeitnehmers als Einzelfall zu betrachten.
Empirisch erforscht sind die gängigsten Methoden jedenfalls nicht. Aus der Rechtsprechung kristallisieren sich aber folgende Hauptgruppen heraus:
- Ein- und/oder Ausstechen durch Dritte
- Raucherpause ohne Ausstechen
- Während Dienstgang Erledigung privater Angelegenheiten
- Private Telefonate oder sonstige Korrespondenz (E-Mail, Briefwechsel)
123recht.net: Wie groß ist der Schaden für Unternehmen?
Rechtsanwalt Dittmann: Der Vertrauensschaden ist erheblich. Soweit ihre Frage auf den wirtschaftlichen Schaden abzielt, kann ich nur darauf verweisen, dass mir dazu keine empirische Forschung bekannt geworden ist.
Angesichts der in den gerichtlich verhandelten Fällen von bis zu mehreren Hundert Minuten an wenigen Tagen dürfte der wirtschaftliche Schaden für Unternehmer aber nicht unerheblich sein.
Arbeitnehmern droht Rückforderung von Lohn
123recht.net: Welche Folgen können Arbeitnehmern drohen?
Rechtsanwalt Dittmann: Wenn ein Arbeitszeitbetrug nachgewiesen worden ist, rechtfertigt dies grundsätzlich eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses, meistens sogar die fristlose Kündigung. Was dazu führt, dass der Arbeitnehmer eine Sperrfrist von drei Monaten für den Bezug von Arbeitslosengeld erhält, das Zeugnis nicht wohlwollend ausfallen kann und damit die wirtschaftliche Lebensgrundlage des Arbeitnehmers gefährdet sein dürfte.
Auch wird der Arbeitgeber zivilrechtlich prüfen, ob der Arbeitnehmer unberechtigt Lohn/Gehalt bezogen hat. Falls ja, ist mit Rückforderungsansprüchen zu rechnen.
Aber wie schon vorhin ausgeführt, kann der Arbeitgeber das Verhalten des Arbeitnehmers selbstverständlich auch strafrechtlich prüfen lassen, indem dieser Anzeige wegen Betrugs erstattet. Ob das als zivilrechtlich ausreichend bewertete Fehlverhalten des Arbeitnehmers für eine Kündigung dann auch zu einer strafrechtlichen Verurteilung desselben ausreicht, haben die Staatsanwaltschaften bzw. Strafgerichte zu klären.
Überwachungsmaßnahme durch den Arbeitgeber muss verhältnismäßig sein
123recht.net: Wie kann man als Arbeitgeber schummelnden Arbeitnehmern auf die Schliche kommen?
Rechtsanwalt Dittmann: In einem bestehenden Arbeitsverhältnis ist die Datennutzung gemäß § 32 BDSG erlaubt, wenn sie zur Durchführung oder Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses „erforderlich“ ist (§ 32 Abs.1 S.1 BDSG). Wann das der Fall ist, ist im Gesetz nicht konkret geregelt.
Ein Arbeitgeber darf daher kontrollieren, ob Angestellte ihren Arbeitsvertrag erfüllen. Insbesondere darf er auch überprüfen, ob das geforderte Arbeitspensum geleistet wird.
In Frage kommt z.B. die Überwachung des Zeiterfassungssystems durch Aufstellen von Kameras (unpersonalisierte Aufnahmen, selbstverständlich nur mit Zustimmung des Betriebs- oder Personalrats bzw. mit Hinweis auf Aufnahme) oder Überwachung des einzelnen Mitarbeiters im Verdachtsfall durch Detektive.
Die Kontroll- und Überwachungsmaßnahme darf allerdings nicht unverhältnismäßig sein und nicht in Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers eingreifen.
123recht.net: Haben Sie für die fehlende Verhältnismäßigkeit ein Beispiel?
Das Arbeitsgericht Augsburg (Entscheidung des ArbG Augsburg vom 04.10.2012) entschied über die Zulässigkeit einer Computerüberwachung und die im Anschluss ausgesprochene fristlose Verdachtskündigung eines Betriebsratsvorsitzenden durch seinen Arbeitgeber. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die mehrmalige 5-7 minütige Speicherung der Bildschirmoberfläche im Sekundentakt durch Bildschirmfotografien zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechtes des Mitarbeiters führt, auch wenn hierdurch der Nachweis des Arbeitszeitbetruges erbracht werden sollte bzw. erbracht wurde. Doch wurde nicht nur die Manipulation des Arbeitszeitkontos auf dem Computer dokumentiert, sondern auch der private E-Mail Verkehr des 54 Jahre alten Betriebsratsvorsitzenden. Damit war die Überwachungsmaßnahme unverhältnismäßig.
123recht.net: Können auch Arbeitgeber einen Arbeitszeitbetrug begehen?
Rechtsanwalt Dittmann: Nach der herkömmlichen, eingangs benannten Definition kann ein Arbeitgeber keinen Arbeitszeitbetrug begehen.
In Betracht kommt allerdings – gerade durch das Thema einheitlicher Mindestlohn befeuert – die Umgehung von Schutzvorschriften für Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber. So ist vorstellbar, dass die Arbeitszeit laut Arbeitsvertrag verringert wurde, ohne dass das Arbeitspensum angepasst wird. Damit ist klar, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit nur schafft, wenn er (unbezahlte) Überstunden erbringt.
123recht.net: Wir bedanken uns für das informative Gespräch.
Rechtsanwalt Sandro Dittmann
Fachanwalt für Steuerrecht
Fachanwalt für Handels- & Gesellschaftsrecht
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